Der DVGW fördert das Gas- und Wasserfach in allen technisch-wissenschaftlichen Belangen. In seiner Arbeit konzentriert sich der Verein insbesondere auf die Themen Sicherheit, Hygiene, Umwelt- und Verbraucherschutz. Mit der Entwicklung seiner technischen Regeln ermöglicht der DVGW die technische Selbstverwaltung der Gas- und Wasserwirtschaft in Deutschland. Hierdurch gewährleistet er eine sichere Gas- und Wasserversorgung nach international höchsten Standards. Der im Jahr 1859 gegründete Verein hat rund 14.000 Mitglieder. Hierbei agiert der DVGW wirtschaftlich unabhängig und politisch neutral
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Datum der Veröffentlichung: 04. Dezember 2025
Die Energiewende braucht neue Leitungen. Doch bevor grüner Wasserstoff flächendeckend durch Deutschland fließt, gilt es technische, regulatorische und wirtschaftliche Hürden zu überwinden.
Dieser Artikel beleuchtet die aktuelle Planung, typische Probleme und zeigt mit Blick auf Projekte aus der Praxis wie GET H2, welche Lösungen bereits getestet werden.
Bis 2032 soll ein bundesweites Wasserstoff-Kernnetz in Betrieb gehen. Der Genehmigungsantrag der Fernleitungsnetzbetreiber wurde von der Bundesnetzagentur im Oktober 2024 bewilligt. Insgesamt sind Investitionen von rund 18,9 Milliarden Euro vorgesehen.
Trotz politischer Klarheit zeigt der Zeitplan, wie anspruchsvoll das Vorhaben ist. Allein die Genehmigungsphase – inklusive der beihilferechtlichen Zustimmung der EU-Kommission – erforderte eine mehrfache Verlängerung der Fristen. Der Bau selbst stellt weit höhere Anforderungen an Material, Logistik und Technik als bisherige Infrastrukturprojekte im Gasbereich.
Wasserstoff weist andere physikalische Eigenschaften auf als Erdgas. Die Moleküle sind kleiner, die Diffusionsrate ist höher, und auch die Druckverhältnisse müssen angepasst werden. Dennoch bleibt der Transport im Grundsatz vergleichbar.
„Dem Wesen nach ist der Transport vergleichbar mit Erdgas. Es müssen einige spezifische Stoffeigenschaften berücksichtigt werden, insbesondere die geringe Größe des Wasserstoffmoleküls, was Auswirkungen auf die zu nutzenden Druckverhältnisse hat“, erklärt Svend Wortmann, Teamleiter Dispatching bei der Nowega GmbH, im Vorfeld seines Vortrags beim DVGW Kongress Dispatching am 07. Oktober 2025.
Diese Unterschiede wirken sich auf die Auswahl und Prüfung von Materialien aus, insbesondere bei Leitungen, Speicherkomponenten und Armaturen. Auch Dichtungen, Kompressorstationen und Überwachungssysteme müssen für Wasserstoff geeignet sein und speziell getestet werden.
Umso wichtiger ist es, Erfahrungen aus Pilotprojekten wie GET H2 zu sammeln. Am RWE-Standort in Lingen wurde etwa eine Versuchspipeline installiert, mit der Materialien, Messsysteme und Leckerkennung unter realen Bedingungen getestet werden.
Das Demonstrationsfeld ist Teil eines umfassenden Test- und Entwicklungsumfelds, das unter anderem praxistaugliche Messkonzepte für Gasqualität und Volumenstrom sowie luftgestützte Leckageerkennung ermöglicht. Auch die Wasserstoffverträglichkeit von Werkstoffen wird dort unter Betriebsbedingungen überprüft – eine entscheidende Voraussetzung für den sicheren und effizienten Netzbetrieb.
Darüber hinaus wurde am Standort eine 14-Megawatt-Pilotanlage zur Elektrolyse errichtet. Das erste 4-MW-Modul basiert auf PEM-Technologie und wurde von Linde Engineering geliefert. Es bildet den Auftakt für zwei weitere Großmodule mit jeweils 100 Megawatt, die 2025 und 2026 im Rahmen des GET H2 Nukleus Projekts folgen sollen. Mit dem Ausbau wird grüner Wasserstoff erstmals industriell produziert und unmittelbar in das entstehende Wasserstoffnetz integriert.
Ein stabiler regulatorischer Rahmen ist unerlässlich, damit die Energiewende im gesamten Energiesystem ankommt. Mit der im Februar 2025 in Kraft getretenen Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes wurden zentrale Voraussetzungen geschaffen, um Netzanschlüsse zu beschleunigen, die Steuerbarkeit von Anlagen zu verbessern und neue Investitionsanreize zu setzen. Unternehmen erhalten damit mehr Planungssicherheit für den Umbau ihrer Energieversorgung.
Doch auch jenseits gesetzlicher Regelungen muss die Transformation technisch machbar und wirtschaftlich tragfähig bleiben. Rund 80 Prozent des heutigen Energiebedarfs in Deutschland werden durch molekulare Energieträger gedeckt. Perspektivisch soll Wasserstoff einen immer größeren Anteil übernehmen – als klimafreundliche Alternative zu Erdgas. Unsere Analysen zeigen: Etwa 97 Prozent der bestehenden Erdgasleitungen sind bereits für Wasserstoff geeignet. Die Umstellung ist daher keine ferne Vision, sondern technisch realisierbar und ökonomisch sinnvoll.
Ein zentrales Element ist dabei die frühzeitige Einbindung der Verteilnetze. Nur wenn diese mitgedacht werden, lässt sich eine flächendeckende Versorgung von Industrie, Gewerbe und privaten Haushalten gewährleisten. Der Fokus darf nicht ausschließlich auf den Transport über das Kernnetz liegen. Ebenso entscheidend ist, dass Wasserstoff und seine Derivate in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. Eine künstliche Verknappung dieser Energieträger würde den Markthochlauf erschweren und zentrale Anwendungsfelder ausbremsen – etwa die Umstellung von Gaskraftwerken oder die Dekarbonisierung industrieller Prozesse.
Die Steuerung eines reinen Wasserstoffnetzes erfordert hochpräzises Dispatching, insbesondere bei fluktuierender Einspeisung aus erneuerbaren Energien. Laut Wortmann „wird gerade zu Beginn eine große Anforderung sein, das volatile Aufkommen (grüne Produktion) mit der größtenteils bandförmigen Abnahme in Einklang zu bringen.“
Um diese Balance verlässlich zu steuern, werden klassische Prozessleitsysteme konsequent weiterentwickelt. Sie sind heute bereits auf die spezifischen Stoffeigenschaften von Wasserstoff ausgelegt und ermöglichen eine netzweite Echtzeitüberwachung. Ergänzt wird das System durch innovative Technologien wie luftgestützte Leckerkennung und digitale Zwillinge. Letztere bilden Leitungsverläufe, Material- und Betriebszustände virtuell ab und helfen dabei, auf Veränderungen proaktiv zu reagieren.
Wasserstoff ist unverzichtbar für die Erreichung der EU-Klimaziele. Doch politische Zielbilder allein reichen nicht. Entscheidend sind Investitionen in Leitungen, Speicher und Steuerungstechnologien sowie ein verlässlicher Rechtsrahmen. Die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes war ein wichtiger Impuls, doch zentrale Fragen zur Finanzierung, zu Verteilnetzen und Standards sind noch offen. Projekte wie GET H2 zeigen, dass der Aufbau technisch machbar und wirtschaftlich sinnvoll ist. Jetzt kommt es darauf an, bestehendes Wissen auch wirklich zu nutzen, Verantwortung klar zu regeln und den Markthochlauf aktiv zu gestalten – für ein sicheres, wirtschaftliches und zukunftsfähiges Energiesystem.