Der DVGW fördert das Gas- und Wasserfach in allen technisch-wissenschaftlichen Belangen. In seiner Arbeit konzentriert sich der Verein insbesondere auf die Themen Sicherheit, Hygiene, Umwelt- und Verbraucherschutz. Mit der Entwicklung seiner technischen Regeln ermöglicht der DVGW die technische Selbstverwaltung der Gas- und Wasserwirtschaft in Deutschland. Hierdurch gewährleistet er eine sichere Gas- und Wasserversorgung nach international höchsten Standards. Der im Jahr 1859 gegründete Verein hat rund 14.000 Mitglieder. Hierbei agiert der DVGW wirtschaftlich unabhängig und politisch neutral
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Interview mit Klaus Müller, Präsident, Bundesnetzagentur
Wir freuen uns besonders, dass wir im Vorfeld des DVGW Kongresses 2025 Klaus Müller, den Präsidenten der Bundesnetzagentur, zu seiner Arbeit befragen konnten. Auf dem DVGW Kongress 2025 wird er als Fachreferent zum Thema "Bereit für alle Herausforderungen: Unser Fahrplan, um das Energiesystem fit für die Zukunft zu machen" sprechen.
Klaus Müller ist seit Mai 2014 Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands. Zuvor leitete er von 2006 bis 2014 die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Der Volkswirt hat auch eine beeindruckende politische Karriere hinter sich: Von 2000 bis 2005 war er Umweltminister in Schleswig-Holstein und bis 2006 Mitglied des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Zudem war er von 1998 bis 2000 Abgeordneter des Deutschen Bundestages.
Freuen Sie sich auf spannende und hochaktuelle Einblicke!
Datum der Veröffentlichung: 08. Mai 2025
DVGW Kongress:
Auf dem DVGW Kongress 2025 diskutieren Sie über den Fahrplan zur Zukunftsfähigkeit des Energiesystems aus regulatorischer und politischer Sicht. Welche zentralen Maßnahmen und strategischen Weichenstellungen sehen Sie dabei jetzt als entscheidend an?
Klaus Müller:
Die Ereignisse am 28.4. in Spanien und Portugal haben uns gelehrt, dass die Gewährleistung der Versorgungssicherheit ein wesentlicher Grundbaustein eines zukunftsfähigen Energiesystems ist. Wir wissen noch zu wenig über die Gründe; ich will deshalb auch nicht spekulieren.
Zur Vorbeugung wird es ein ganzes Bündel von Maßnahmen geben müssen. Angemessener Netzausbau auf allen Ebenen, vollständige digitale Netzüberwachung auch in den unteren Spannungsebenen, neue technische Werkzeuge um dynamische Effekte in den Griff zu bekommen, Aktualisierung unserer IT-Sicherheitskataloge, Erfassung auch der Energiedienstleister, die bisher ein blinder Fleck in der Sicherheitsarchitektur sind. Höhere Anforderungen an alle Nutzer der Netze - an deren Fähigkeiten - sich an den technischen Anforderungen der Netze zu orientieren. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Dabei muss bereichsübergreifend gedacht werden. Als Beispiel möchte ich an die Einführung eines Kapazitätsmechanismus anknüpfen. Es dürfte bekannt sein, dass ein Kapazitätsmechanismus notwendig ist, um denkbare Versorgungslücken im Stromsektor zu schließen. Darüber hinaus kann und wird ein Kapazitätsmechanismus auch Preisspitzen glätten, die bei dargebotsabhängiger Erzeugung in sog. Dunkelflauten entstehen können. Ein Kapazitätsmechanismus ist aber nur dann hilfreich, wenn 1. ausreichend volatile Erzeugung und ausreichend Netz zur Verfügung steht, um Stromspeicher, die daran teilnehmen auch preiswert zu füllen. Gleichzeitig brauchen wir 2. aber auch ein Mindestmaß steuerbarer Erzeugung. Die wiederum braucht Brennstoffe. Dafür müssen dann Gasnetze und - weil uns der Mangel typischerweise im Winter ereilt - auch Gasspeicher vorhanden sein. Und über kurz oder lang werden wir das gleiche mit dem Brennstoff Wasserstoff machen müssen. Einfach ausgedrückt: ein Wasserstoffnetz und die dort noch nicht entwickelten Wasserstoffspeicher dienen unter anderem auch der Versorgungssicherheit im Strom. Und weil wir nicht allen Wasserstoff importieren können, brauchen wir auch Elektrolyseure, die ihrerseits wieder Wasserstoffspeicher und eine ausreichend stabile und preiswerte Stromversorgung benötigen.
Die Botschaft die ich damit vermitteln möchte: Wir brauchen ein integriertes Denken. Und natürlich muss dabei die Kostenfrage eine wichtige Rolle spielen.
Für alle Akteure muss Energie, auch im internationalen Vergleich, bezahlbar sein. Das verlangt unangenehme Diskussionen mit einer Vielzahl von Akteuren. Ein Beispiel: Der Netzausbau muss auf seine Erforderlichkeit überprüft, aber gleichzeitig seine Beschleunigung beibehalten werden.
DVGW Kongress:
Im Oktober 2024 hat die Bundesnetzagentur das Wasserstoff-Kernnetz genehmigt. Bedeutet dies den Übergang von der Antrags- in die Umsetzungsphase? Welche Schritte wurden seitdem bereits eingeleitet, und welche Meilensteine stehen als nächstes an?
Klaus Müller:
Die Kernnetz-Genehmigung war der Auftakt für ein künftiges deutschlandweites Wasserstofftransportnetz. Dabei wurde auf das Zieljahr 2032 abgestellt. Die Wasserstoffnetzplanung ist mit der EnWG-Novelle von 2024 nun integriert in das zweijährige und rollierende Verfahren der Netzentwicklungsplanung (NEP) Gas und Wasserstoff eingebettet. Der NEP soll den politischen, ökonomischen und technischen Entwicklungen Rechnung tragen. Er baut dabei auf den Wasserstoff-Kernnetzplanungen auf, kann diese aber auch entsprechend der künftigen Entwicklungen anpassen. Ebenfalls gibt der durch die Netzbetreiber vorzulegende Entwurf eines Netzentwicklungsplan einen Überblick über den Umsetzungs-stand der Kernnetz-Maßnahmen. Auch die Benennung bislang noch nicht genannter Vorhabenträger soll im NEP erfolgen.
Die Umsetzung der Kernnetzmaßnahmen an sich liegt bei den Netzbetreibern.
Aus der Branche hören wir von ersten Umsetzungen, wie beispielsweise die Inbetriebnahme einer Transportleitung im Energiepark Bad Lauchstädt, die Umstellung von 55 km zwischen Lingen und Bad Bentheim auf Wasserstoff und auch Gascade befüllt die ersten Leitungsabschnitte von „Flow“ (bis Ende 2025 ca. 400 km geplant). Gleichzeitig baut OGE zusammen mit Nowega zwischen Heek und Epe eine 11km lange Wasserstoff-Neubauleitung. Es geht also schon voran.
DVGW Kongress:
Können Sie uns die wichtigsten Punkte, die das Hochlaufentgelt für das Wasserstoff-Kernnetz betreffen, zusammenfassen, dass im März 2025 konsultiert wurde? Welche Schlüsselaspekte beinhalten diese Regelungen aus Ihrer Sicht, und wie tragen sie zur Finanzierung und Skalierung der Wasserstoffinfrastruktur bei?
Klaus Müller:
Die Bundesnetzagentur hat das Hochlaufentgelt für die Ein- und Ausspeisung in das Wasserstoff-Kernnetz mit 25 €/kWh/h/a zur Konsultation gestellt. Wir stützen uns dabei auf ein Nachfrageszenario aus einem Gutachten von Dr. Benjamin Pfluger (Fraunhofer IEG), welches kurz- und mittelfristig einen realistischen Markthochlauf und langfristig das klimapolitische Ziel der Treibhausgasneutralität widerspiegelt. Das Hochlaufentgelt soll so bemessen sein, dass es das Amortisationskonto bis Ende des Jahres 2055 ausgleicht und dabei den Markthochlauf nicht abwürgt. Diese Kriterien werden aus unserer Sicht mit der konsultierten Entgelthöhe erfüllt.
Die Berechnungen basieren auf einem Aufbau der Kernnetz-Infrastruktur bis 2032, wie er letztes Jahr genehmigt wurde. Die Bundesnetzagentur hat jedoch ausgehend von den Berechnungen einen moderaten Abschlag vorgenommen, um die nicht unwahrscheinliche Verschiebung des Aufbaus, welche bereits im Energiewirtschaftsgesetz angelegt ist, zu berücksichtigen
DVGW Kongress:
Welche strategischen Hebel sieht die Bundesnetzagentur, um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im globalen Energiemarkt zu stärken?.
Klaus Müller:
Für mich sind dabei zwei Punkte ganz zentral. Zum einen Stabilität. Wir bieten in Deutschland historisch schon immer ein stabiles Netz mit sehr guter Versorgungssicherheit. Das muss auch in Zukunft so bleiben und daher steht mit den beiden NEP und seit einigen Jahren auch den Strom-NAP die langfristige Planung klar im Fokus; ein Ansatz, den wir als Bundesnetzagentur ausdrücklich unterstützen. So können wir die Netze stabil und sicher für die Zukunft ausbauen. Hierfür benötigen wir neben verlässlichen Planungsprozessen auch ein stabiles Investitionsumfeld. Wir als Regulierer sind immer darauf bedacht, einen stabilen, nachvollziehbaren und transparenten Regulierungsrahmen zu schaffen und dabei alle Stakeholder mit einzubeziehen.
Wir arbeiten aktuell in unserem NEST Prozess ganz aktiv daran, Vereinfachungen in die regulatorischen Prozesse zu bringen und zielgerichtete Anpassungen durchzuführen, die zu Planungssicherheit und Nachvollziehbarkeit für Investoren in allen Bereichen beitragen. Dabei wollen wir ein investitionsfreundliches Umfeld genauso wie die Interessen der Netznutzer im Blick behalten.
Der zweite Punkt ist unser Blick für die Zukunft. Wir sind auf einem machbaren Weg in Richtung Klimaneutralität, ein Anteil der Erneuerbaren Erzeugung von 59% an der Stromerzeugung 2024 zeigt das. Das macht unser System unabhängig von Dritten und diversifiziert unsere Erzeugung. Wir erzielen gleichzeitig gute Fortschritte beim Stromnetzausbau. Dieses Tempo müssen wir jetzt beibehalten. Der Koalitionsvertrag kündigt eine Kraftwerksstrategie an. Gleichzeitig müssen wir weiter Zukunftsthemen entschlossen angehen. Das vorgeschlagene Wasserstoffhochlaufentgelt ist z.B. ein Puzzleteil für eine erfolgreiche Wasserstoffwirtschaft. Dies macht unser Energiesystem Schritt für Schritt noch wettbewerbsfähiger und langfristig interessant, gerade auch im europäischen Verbund. Und wir alle wollen mehr Kosteneffizienz, damit Energie bezahlbarer wird.
DVGW Kongress:
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen hierfür?
Klaus Müller:
Herausforderungen bringt die Energiewende natürlich mit. Ein sicheres und diversifiziertes Energiesystem ist nicht billig: Aber es ist im Wortsinne preiswert. Aber auch hier haben wir Hebel in der Hand, die es noch stärker zu nutzen gilt. Wir müssen Investitionen genau prüfen, das machen wir als BNetzA bei der aktuellen Genehmigung der Szenariorahmen Strom und Gas/Wasserstoff als Vorbereitung für die Netzausbaupläne, die wir ebenfalls wiederrum genau prüfen. Unnötige Kosten gilt es zu vermeiden. Kosten, die trotzdem anfallen, müssen wir angemessen verteilen und das auf möglichst breite Schultern. Wer Kosten verursacht, muss sich an diesen auch beteiligen.
Wir haben im vergangenen Jahr mit der EE-Kostenwälzung einen guten Weg für eine gerechtere Lastenverteilung eingeschlagen. Mit unserem AgNeS Prozess werden wir als BNetzA diesen in Zukunft weiter voranschreiten.
DVGW Kongress:
Was erhoffen oder wünschen Sie sich persönlich vom DVGW Kongress 2025? Welche Impulse oder Erkenntnisse könnten Ihrer Meinung nach den zukünftigen Diskurs und die Weiterentwicklung des Energiesystems besonders prägen?
Klaus Müller:
Ich persönlich erhoffe mir vom DVGW Kongress 2025 in erster Linie einen intensiven, interdisziplinären Austausch, der uns dabei hilft, die drängenden Fragen der Energiewende in konkrete Lösungsansätze umzuwandeln. Ich wünsche mir einen Dialog in dem politische Entscheidungsträger, Industrievertreter, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Praxisverantwortliche gemeinsam neue Impulse für ein transparentes, stabiles und digital vernetztes Energiesystem setzen.
Es geht für mich auch darum, einen Raum zu schaffen, in dem regulatorische Neuerungen nicht nur diskutiert, sondern auch als klare und umsetzbare Maßnahmen besprochen werden.
Es ist entscheidend, dass wir Brücken zwischen verschiedenen Interessen bauen, die den Fortschritt konsequent vorantreiben. Alle diese Ansätze – von innovativen technischen Konzepten bis hin zu klaren regulatorischen Rahmenbedingungen – sollen dabei zu einer nachhaltigen, sicheren, kosteneffizienten und resilienten Energieversorgung führen.
Vielen Dank für die sehr spannenden Einblicke und Ihre Zeit, Herr Müller. Wir freuen uns schon sehr auf Ihren Beitrag und die Diskussion auf dem DVGW Kongress 2025 in Bonn!