Der DVGW fördert das Gas- und Wasserfach in allen technisch-wissenschaftlichen Belangen. In seiner Arbeit konzentriert sich der Verein insbesondere auf die Themen Sicherheit, Hygiene, Umwelt- und Verbraucherschutz. Mit der Entwicklung seiner technischen Regeln ermöglicht der DVGW die technische Selbstverwaltung der Gas- und Wasserwirtschaft in Deutschland. Hierdurch gewährleistet er eine sichere Gas- und Wasserversorgung nach international höchsten Standards. Der im Jahr 1859 gegründete Verein hat rund 14.000 Mitglieder. Hierbei agiert der DVGW wirtschaftlich unabhängig und politisch neutral
www.dvgw.de
Interview mit Torsten Lotze
Im Rahmen der Energiewende spielen effiziente Energiespeicherungstechnologien wie die Power to Gas-Technologie zur Herstellung von Wasserstoff eine entscheidende Rolle. Dadurch ergeben sich auch neue Anforderungen an die bereits bestehende Gasinfrastruktur. Auf dem Praktiker Forum der gat | wat 2023 berichtet Torsten Lotze (Referent Assetmanagement Gas / Wasserstoff, Avacon Netz GmbH) über die Umstellung von Leitungen bis 16 bar auf wasserstoffhaltige methanreiche Gase und Wasserstoff nach G 407 und G 408. Wir haben im Vorfeld zum Praktiker Forum mit Herrn Lotze über die Wasserstoffeinspeisung ins Gasnetz und die entsprechenden Neuerungen der Regelwerke gesprochen.
Herr Lotze, für die Dekarbonisierung der Energieversorgung ist die Wasserstoffeinspeisung unabdingbar. Welche Herausforderungen ergeben sich durch Wasserstoff-Erdgas-Gemische für die bestehende Gasinfrastruktur?
Für die Beimischung sehe ich die größten Herausforderungen in der installierten Gasgerätevielfallt in den Netzen. Der Nachweis der Verträglichkeit der H2-Zumischung bis 20 Vol.-% für Bestandsgeräte muss im Regelwerk verankert werden. Unter anderem muss die G 260 „Gasbeschaffenheit“ entsprechend angepasst werden. Der Aufwand für die 20% Beimischung muss reduziert werden, um diesen Lösungsweg zur Dekarbonisierung tragbar zu machen.
Das DVGW-Merkblatt G 407 sowie das DVGW-Merkblatt 408 geben Leitplanken zur Orientierung über die Bewertung und Umstellung von bestehenden Gasverteilnetzen auf den Betrieb mit wasserstoffhaltigen methanreichen Gasen und Wasserstoff. Wie kann die werkstoffmechanische Eignung einer Gasleitung zur Umstellung auf den Betrieb mit wasserstoffhaltigen methanreichen Gasen und Wasserstoff festgestellt werden?
Die Familie der DVGW-Regelsetzung zur Umstellung von Gasleitungen auf Wasserstoff hat die jeweiligen Werkstoffe bewertet. Hier sind unter anderem die DVGW-Forschungsprojekte „H2-Tauglichkeit von Stählen“ und auch die Bewertungen des KRV und Teppfa für Kunststoffe zu benennen. Viele Komponenten der Gasinfrastruktur sind mittlerweile in die DVGW-Datenbank „verifHy“ aufgenommen worden. Sie enthält umfangreiche Informationen zur H2-readyness von Gaskomponenten.
Somit sind die in dem DVGW-Merkblatt G 407 sowie dem DVGW-Merkblatt 408 aufgeführten Handlungsempfehlungen und die DVGW-Datenbank „verifHy“ die Basis für eine zur Einstufung und Bewertung von Gasleitungen für den Betrieb mit wasserstoffhaltigen methanreichen Gasen oder Wasserstoff. DVGW-Merkblätter geben somit eine Orientierung bei einer systematischen Vorgehensweise über die Bewertung und Umstellung von bestehenden Gasverteilnetzen auf den Betrieb mit wasserstoffhaltigen methanreichen Gasen und Wasserstoff.
Welche Unterschiede ergeben sich bei den Anforderungen an die Umstellung von Gasleitungen aus Stahlrohren (G 407) und der Umstellung von Gasleitungen aus Kunststoffrohren (G 408)?
Die beiden Merkblätter sind von der Grundstruktur identisch aufgebaut, um die Anwendung in der Praxis zu vereinfachen. Wir haben hier die Unterschiede in den Werkstoffen Stahl und Kunststoff und somit auch die Bewertung auf den Betrieb mit wasserstoffhaltigen methanreichen Gasen und Wasserstoff beschrieben. Die Regelwerke sind aber auch für „Mischnetze“ einfach anwendbar.
Welche technischen Aspekte sind bei der Umstellung von Gasleitungen aus Stahlrohren und Gasleitungen aus Kunststoffrohren jeweils zu beachten?
Im Druckbereich < 16bar auf der Verteilnetzebene sind in der Regel Stahlmaterialien mit einer Mindeststrecke < 360 N/mm² eingebaut. Die Rohrwand der verlegten Leitungen ist meist überdimensioniert. Gleichzeitig kann von einer ruhenden Belastung ausgegangen werden. Der anstehende Betriebsdruck liegt vielfach deutlich niedriger. Unter Berücksichtigung eines Nutzungsgrades von max. 0,5 ist davon auszugehen, dass eine Wasserstoffversprödung nicht eintritt und daher keine bruchmechanischen Materialbewertungen erforderlich sind. Die Parameter der Mindeststreckgrenze des Materials mit < 360 N/mm² und ein Nutzungsgrad von max. 0,5 ist für den aktuell anliegenden Betriebsdruck (OP) vor der Wasserstoffeinspeisung nachzuweisen. Sollte ein technischer Nachweis nicht möglich sein, hat die Umstellung gemäß den Vorgaben der G 409 (M) zu erfolgen.
Bei Kunststoffrohrsystemen aus den Werkstoffen Polyethylen PE 63, PE 80 und PE 100, Polyethylen mit erhöhter Rissbeständigkeit PE 100-RC, Polyamid-Werkstoff PA-U12 (bis 16 bar) und weiteren Kunststoffen (z. B. PVC) sind für die Verteilung und den Transport von Wasserstoff bis 16 bar grundsätzlich geeignet. Hinweise zur Bewertung dieser Materialien sind im Merkblatt G 408 zusammenfassend dargestellt. Sollte das eingesetzte Material im Netz nicht ausreichend dokumentiert sein, sind vorgelagert entsprechende Materialuntersuchungen durchzuführen.
Welche Herausforderungen gibt es bei der Umstellung auf Verteilnetze mit 100 % Wasserstoff und im Hinblick auf Permeationen? Wie können diese vorgebeugt werden?
Die Basis einer Umstellung eines bestehenden Gasnetzes von Erdgas auf die 5. Gasfamilie (Wasserstoff) sind die Nachweise über die Netzdokumentation, die Ergebnisse der vorhandenen Druckprüfung und ein belegbarer regelkonformer Betrieb des Netzes. Insbesondere bei nicht hinreichender Netzdokumentation sind im Umstellprozess verstärkte Analysen im Netz durchzuführen und g die Dokumentation vor der Umstellung zu vervollständigen.
Kunststoffleitungen und Komponenten weisen grundsätzlich materialspezifisch eine materialbedingte Gasdurchlässigkeit, auch Permeation genannt, auf. Dies ist aus Betreibersicht nicht betriebsrelevant. Auch bei Netzen für den Betrieb mit Wasserstoff nach der 5. Gasfamilie sind Kunststoffrohrsysteme weiterhin einsetzbar, auch wenn der Permeationskoeffizient zu Wasserstoff hin ansteigt. Mehrschichtkonstruktionen bieten mit integrierter Sperrschicht (z.B. eine Aluminium- bzw. Kunststoffschicht) eine technische Möglichkeit, die Gasdurchlässigkeit weiter zu verringern, ohne die positiven Verlegeeigenschaften von Kunststoffrohrsystemen für die Netzbetreiber zu verändern.
Vielen Dank für die interessanten Erläuterungen, Herr Lotze. Wir freuen uns schon auf Ihren Beitrag auf dem Praktiker Forum der gat | wat 2023 am 6. September um 16:20 Uhr.