Der DVGW

Das Kompetenznetzwerk im Gas- und Wasserfach

Der DVGW fördert das Gas- und Wasserfach in allen technisch-wissenschaftlichen Belangen. In seiner Arbeit konzentriert sich der Verein insbesondere auf die Themen Sicherheit, Hygiene, Umwelt- und Verbraucherschutz. Mit der Entwicklung seiner technischen Regeln ermöglicht der DVGW die technische Selbstverwaltung der Gas- und Wasserwirtschaft in Deutschland. Hierdurch gewährleistet er eine sichere Gas- und Wasserversorgung nach international höchsten Standards. Der im Jahr 1859 gegründete Verein hat rund 14.000 Mitglieder. Hierbei agiert der DVGW wirtschaftlich unabhängig und politisch neutral

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Agil, digital, zukunftssicher: Das steckt hinter Projekt aKtIv

Interview mit Natalie Wick

Natalie Wick ist in der Forschungskoordination und im Betriebsmanagement bei der Wasserversorgung Rheinhessen-Pfalz GmbH (wvr) tätig. In unserem Interview spricht Sie mit uns über das spannende Projekt „aKtIv“. Das Gespräch gibt zugleich einen Ausblick auf ihren Vortrag beim DVGW Kongress 2025, bei dem die Erhöhung der Resilienz der Kritischen Infrastruktur Wasserversorgung im Fokus steht.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen und freuen uns über Natalie Wicks Beitrag!

Datum der Veröffentlichung: 11. Juli 2025

DVGW Kongress: 

Neben außergewöhnlichen Ereignissen wie Stromausfällen, Gefahrgutunfällen oder Cyberangriffen benötigt auch unsere Wasserversorgung besonderen Schutz als kritische Infrastruktur. Klimawandel und Extremwetterlagen wie Hochwasser und Trockenphasen stellen zunehmende Herausforderungen dar. Mit dem Projekt „aKtIv“ (agile Netzsteuerung zur Erhöhung der Resilienz der kritischen Infrastruktur Wasserversorgung) soll die Wasserversorgung in Deutschland krisensicherer gemacht werden. „aKtIv“ ist ein interdisziplinäres Projekt mit vielen Partnern. Können Sie uns die Ziele und das Vorgehen des Projekts kompakt zusammenfassen?

Natalie Wick:

Neben kurzfristigen technischen Störungen haben die trockenen Sommer der vergangenen Jahre gezeigt, dass vielerorts die technischen Kapazitäten wasserwirtschaftlicher Anlagen und Netze durch Spitzennachfragen nah an ihre Kapazitätsgrenzen kommen können. Um eine Gefährdung der Versorgungssicherheit zu vermeiden und die Resilienz der Wasserversorgung zu erhöhen, bedarf es einer situationsabhängigen kunden(gruppen)spezifischen Regulierung von Wassermengen. Hierzu sind komplexe Steuerungssysteme im Wasserversorgungssystem notwendig, deren Regelentscheidungen aufgrund der Daten- und Informationsvielfalt und der Dynamik der Regelungsvorgänge erfordern. Im Rahmen von aKtIv wird durch interdisziplinäre Einbindung von Anwenderinnen und Anwendern, Wissenschaft und Wirtschaft ein digitaler Zwilling der Wasserversorgungsstruktur entwickelt, der die Entscheidungsträger befähigt, das komplexe Geschehen zu erfassen und sie darin unterstützt, frühzeitig effektive Regelentscheidungen zur Vermeidung oder gezielten Bewältigung von kritischen Systemzuständen oder Ausfällen der Trinkwasserversorgung zu treffen. Durch die zusätzliche Einbindung von KI-gestützten Dargebots- und Bedarfsprognosen kann die Bewirtschaftung des Versorgungssystem vorausschauend und risikomindernd umgesetzt werden. Durch die Verknüpfung ist es möglich, den Systemzustand frühzeitig zu erfassen und Krisensituationen frühzeitig zu erkennen und somit sicher regeln zu können.

 

DVGW Kongress: 

Von bedarfsorientierter Wasserversorgung zur agilen Netzsteuerung – das ist ein herausforderndes Ziel des „aKtIv“-Projekts. Dazu soll ein digitaler Zwilling der Wasserversorgungsstruktur entwickelt werden. Was sind die größten Erfolge für dieses Ziel seit Projektstart 2022? Wo liegen die größten Herausforderungen? 

Natalie Wick: 

Die größte Herausforderung liegt darin, ein Versorgungssystem in seiner Komplexität vollständig zu erfassen und abbilden zu können. Dies betrifft das Datamining sowie die Entwicklung von Schnittstellen zur Datenübertragung diverser Datentypen und Systeme. Auch Interdependenzen müssen verstanden und abgebildet werden. Die Vorhaltung, Pflege und Übergabe detaillierter Infrastruktur- und Betriebsdaten bilden das Herzstück des Digitalen Zwillings. Weiterhin stellt die zu berücksichtigende Datenmenge eine große Anforderung für die Rechengeschwindigkeit dar. 
Diese beiden Herausforderungen konnten wir bewältigen, sodass wir nun ein rechenfähiges System haben, dem aktuell noch ein Userinterface zur Bedienung fehlt, was jedoch bis zum Herbst 2025 entwickelt wird. Dann erhalten wir ein rundes Entscheidungsunterstützungssystem, welches frühzeitig auf potenziell problematische Situationen hinweisen kann. 
Zudem konnte eine Steuereinheit entwickelt werden, mit Hilfe derer in Notsituationen Verbrauchsspitzen reduziert werden können, so dass die Abgabe einer definierten, begrenzten Wassermenge realisiert werden kann.

 

DVGW Kongress: 

Ein großer Aspekt des Projekts sind ethische Fragen und Problemstellungen. Dabei geht es um Quantität, Qualität und die Gewichtung der Nutzung bei einer Wassermangellage. Haben Sie bereits Antworten auf Fragen, wie zum Beispiel welchen Wassernutzungen bei Wasserknappheit in welchem Umfang zu gewähren sind?

Natalie Wick:

Außer Frage steht, dass die Trinkwasserversorgung als Instrument der Daseinsvorsorge primär auch genau diesen Zweck zu erfüllen hat. Die Mindestmenge an Wasser für den menschlichen Bedarf sollte stets zur Verfügung stehen. Im Laufe des Projekts hat das Land Rheinland-Pfalz den „Pakt für eine resiliente Wasserversorgung“ verabschiedet, dessen Ziel es ist, auch in Mangellagen für jeden Verbraucher mindestens 50 L pro Tag zur Verfügung stellen zu können. Weiterhin ist die Versorgung von besonders vulnerablen Gruppen, wie z.B. Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen, oder die Bereitstellung von Löschwasser als essentiell anzusehen, so wie Gewerbe, deren Nichtversorgung eine weitere existenzielle Bedrohung darstellen würde. Welche Nutzungen jedoch begrenzt werden könnten, wäre solche des sog. „Komfortwassers“. Plakative Beispiele hierfür sind Poolbefüllungen, PKW-Wäsche oder andere, nicht zwingende Verwendungszwecke. Eine gute Übersicht hierfür bietet u.a. die Gefahrenabwehrverordnung des Landes Hessen, deren Anpassung und Umsetzung wir auch für Rheinland-Pfalz mit unterstützen.

 

DVGW Kongress: 

Welche Rolle nimmt KI in dem Projekt ein und inwiefern kann man KI in der Wasserversorgung vertreten? Wo sind Hindernisse und wo wird künstliche Intelligenz bereits eingesetzt?

Natalie Wick:

Das Projekt aKtIv geht aus der Bekanntmachung „Künstliche Intelligenz in der zivilen Sicherheitsforschung II“ des BMBF im Rahmen des Programms „Forschung für die zivile Sicherheit“ hervor. Im Projekt wird KI unter anderem für die Erstellung von Modellen zur Wasserdargebots- und Bedarfsprognose verwendet, aber auch das mathematische Optimierungsmodell, das dem Entscheidungsunterstützungssystem zu Grunde liegt, greift auf ein neuronales Netz zurück. Das Entscheidungsunterstützungssystem schlägt auf Basis der verwendeten Modelle Steuereingriffe in das Versorgungssystem vor. Essentiell zum jetzigen Zeitpunkt jedoch ist, dass diese Vorschläge von ausgebildeten Fachkräften bewertet und nach manueller Abwägung angestoßen werden müssen. Erst kürzlich wurde die KI-Verordnung verabschiedet. Nach diese bestünden Hindernisse, falls personenbezogene Daten mit Hilfe von KI verarbeitet werden sollten. Dies ist aber im Projekt nicht der Fall.

 

DVGW Kongress: 

Sehen Sie Potenzial dafür, dass eine agile Netzsteuerung unserer Wasserversorgung deutschlandweit eingesetzt werden kann?

Natalie Wick: 

Die flächendeckende Einsetzbarkeit einer agilen Netzsteuerung ist sicherlich abhängig vom zur Verfügung stehenden Datenpool des Versorgungssystems und vor allem auch der Qualität der Daten, für die Verwendung von Prognosemodellen sind zudem digitale Zeitreihen historischer Daten erforderlich. Zum aktuellen Stand erfordert die Implementierung des Systems  eine intensive Unterstützung und Systemkenntnis durch den Betreiber des Versorgungssystems, was nicht zuletzt eine Fragestellung der vorhandenen Personalressourcen darstellt. Wir wollen das System weiterentwickeln und halten mittel- bis langfristig  einen deutschlandweiten Einsatz für umsetzbar.

 

DVGW Kongress: 

Wie bewerten Sie das Engagement des DVGW für die Initiative „Nationale Plattform Resilienz“? Fehlen Ihrer Meinung nach noch Aspekte in der Initiative? 

Natalie Wick:

Das Engagement des DVGW für die Initiative „Nationale Plattform Resilienz“ bewerte ich als absolut notwendig und positiv. Dies unterstreichen auch die Ergebnisse des wvr Forschungsprojektes Impuls, welches wir im Auftrag des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz  und Katastrophenhilfe derzeit bearbeiten. Die Einbringung der fachlichen Expertise zur Stärkung der Resilienz der Kritischen Infrastruktur ist hilfreich und wird sicher dazu beitragen, die Versorgungssicherheit zu erhöhen und Krisen vorzubeugen. Durch das Engagement wird zudem ein Branchenaustausch zwischen staatlichen Stellen und Betreibern gefördert. Gegebenenfalls ausbaufähig wäre die Verbindlichkeit der erarbeiteten Maßnahmen und Empfehlungen. Eine breite Umsetzung lässt sich voraussichtlich nur durch gesetzliche Vorgaben oder verpflichtende Standrads erreichen. Weiterhin dürfen die kleinen Versorgungsbetriebe nicht hinten runter fallen. Oftmals fehlt es hier an Ressourcen, komplexe Konzepte umzusetzen. Hierfür sind niedrigschwellige und praxisnahe Handreichungen eine willkommene Hilfestellung. 

 

DVGW Kongress: 

Was erhoffen oder wünschen Sie sich persönlich vom DVGW Kongress 2025? Welche Impulse oder Erkenntnisse brauchen wir jetzt unbedingt Ihrer Meinung nach für unsere Wasserversorgung?

Natalie Wick: 

Vom DVGW Kongress erwarte ich mir praxisnahe Denkanstöße, wie man sich Schrittweise den Herausforderungen zu Zukunft stellen kann. Diesen Herausforderungen eine weitreichende Plattform zu geben und Impulse in Richtung Regelsetzung zu senden, sehe ich als großen Benefit. Weiterhin freue ich mich auf den regen und offenen Austausch mit Akteuren aus Forschung und Praxis, neue Sichtweisen und außerdem auch den Einbezug von Nachwuchskräften. 
Die Wasserversorgung braucht Unterstützung um zukunftssicher zu werden, sei es in der Anpassung von Planungsgeschwindigkeit, dem Herabsetzen von Hürden bei Wasserrechtsverfahren und der Schaffung von Redundanzen. Konkret sollte die Sicherung potenzieller Rohwasserressourcen für die Trinkwassergewinnung vorangebracht werden. Natürlich ist auch der Ausbau der Digitalisierung ein wichtiges Thema, denn so können komplexe Zusammenhänge und (neue) Herausforderungen systematisch in Angriff genommen werden. 

 

Vielen Dank für das spannende Gespräch, Frau Wick.
Wir freuen uns schon jetzt auf Ihren Beitrag beim DVGW Kongress 2025 und darauf, noch mehr über die agile Netzsteuerung und das Projekt „aKtIv“ zu erfahren!

Setzen Sie Impulse für die Zukunft der Wasserversorgung. Seien Sie jetzt beim DVGW Kongress 2025 dabei!
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