Der DVGW

Das Kompetenznetzwerk im Gas- und Wasserfach

Der DVGW fördert das Gas- und Wasserfach in allen technisch-wissenschaftlichen Belangen. In seiner Arbeit konzentriert sich der Verein insbesondere auf die Themen Sicherheit, Hygiene, Umwelt- und Verbraucherschutz. Mit der Entwicklung seiner technischen Regeln ermöglicht der DVGW die technische Selbstverwaltung der Gas- und Wasserwirtschaft in Deutschland. Hierdurch gewährleistet er eine sichere Gas- und Wasserversorgung nach international höchsten Standards. Der im Jahr 1859 gegründete Verein hat rund 14.000 Mitglieder. Hierbei agiert der DVGW wirtschaftlich unabhängig und politisch neutral

www.dvgw.de

Bitte auf den Obermenüpunkt klicken!
Klimaschutzverträge für die Industrietransformation

Kerstin Maria Rippel spricht im Interview über die Transformation der Stahlproduktion

Durch die Schaffung grüner Leitmärkte und Klimaschutzverträge will die Bundesregierung die Transformation zu einer klimaneutralen Industrie bis 2045 beschleunigen. Besonders bei der Herstellung von energieintensiven Grundstoffen wie Stahl, Zement oder Glas ist die Umstellung auf eine klimaneutrale Produktion mit hohen Kosten verbunden. Die staatliche Subventionierung von wasserstoffbasierten Herstellungsverfahren bietet nun erhebliche Potenziale für die Erreichung der Klimaziele in der Industrie. Im Interview mit Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl, sprechen wir über die Chancen und Herausforderungen von Klimaschutzverträgen für die Stahlindustrie. Frau Rippel diskutiert im Politik-Talk auf der gat mit Vertreter:innen des BMWK, der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen „Otto von Guericke“ und dem BDI über „Klimaschutzverträge für die Industrietransformation und Chancen für den Mittelstand“.

Mit rund 30% industrieller Emissionen ist die Stahlindustrie die Branche mit dem größten Anteil an Treibhausgasemissionen in Deutschland. Welchen Beitrag kann die Transformation zu einer wasserstoffbasierten Stahlproduktion zum Erreichen der Klimaziele leisten? 

Einen enormen – und das nicht nur durch den Ersatz von Hochöfen durch Direktreduktionsanlagen, sondern auch dann, wenn wir bei der Elektrostahlherstellung auf Schrottbasis 100 Prozent erneuerbaren Strom nutzen können. Durch die Umstellung der klassischen Hochofenroute auf Direktreduktion – und damit den Einsatz von Wasserstoff statt Koks – werden wir schon bis zu Jahr 2030 mehr als 20 Mio. Tonnen CO2 einsparen – jedenfalls dann, wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Bis Mitte des Jahrhunderts ist die Stahlindustrie dann in der Lage klimaneutral zu produzieren – und damit 30% aller industriellen Emissionen in Deutschland einzusparen. Ich sage es mal so: Wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen will, hängt das stark von der erfolgreichen Transformation unserer Stahlindustrie ab.

 

Welche politischen Rahmenbedingungen braucht die Transformation zu einer wasserstoffbasierten Stahlproduktion? 

Zunächst einmal haben sich die Unternehmen längst selbst auf den Weg gemacht und wollen nun schnell vorankommen. Dieser Weg in Richtung Klimaneutralität muss aber durch passende politische Leitplanken gesichert werden, um internationale Wettbewerbsnachteile auszugleichen. Konkret geht es um die verlässliche Verfügbarkeit von großen Mengen an grünem Strom und auch Wasserstoff zu bezahlbaren Preisen. Aktuell liegen die Energiepreise immer noch beim Dreifachen des Niveaus vor der Krise und sind international nicht wettbewerbsfähig. Eine politische Lösung für den schon lange versprochenen Industriestrompreis muss deshalb jetzt rasch kommen.

Zudem ist die klimafreundliche Produktion mit enormen Investitionen verbunden. Hier sind Anschubfinanzierungen notwendig, damit ein nennenswertes erstes Angebot an klimafreundlichem Stahl entstehen kann. Klimaschutzverträge spielen hier kurzfristig eine zentrale Rolle, begleitet von der raschen Schaffung mittelfristig wirkender grüner Leitmärkte.

Und auch ganz pragmatische und seit Jahren bekannte Ansätze, wie etwa Planungs- und Genehmigungsverfahren zu vereinfachen und damit zu verkürzen, müssen endlich in der Praxis ankommen.

Generell muss es meiner Meinung nach einen Paradigmenwechsel hin zu einer aktivierenden Industriepolitik geben, die sich nicht scheut, Hand in Hand mit der Klimapolitik zu gehen und dabei auch die Sicherheitspolitik nicht aus den Augen verliert.

 

Das BMWK plant, industrielle Transformationsprojekte durch Klimaschutzverträge zu fördern. Welche Vorteile bietet dieses Instrument? 

Klimaschutzverträge brauchen wir dringend, damit überhaupt ein erstes nennenswertes Angebot an grünem Stahl entstehen kann. Denn die klimaschonende Stahlproduktion auf Basis von Wasserstoff ist mit deutlich höheren Betriebskosten verbunden als bei den herkömmlichen kohlebasierten Verfahren. Durch die Klimaschutzverträge können diese Mehrkosten und die damit verbundenen Risiken abgesichert werden. Sie spielen daher für die Transformation der Stahlindustrie eine zentrale Rolle. Mit der wachsenden Produktion von grünem Stahl können so schon bis 2030 die Emissionen in der Branche um ein Drittel sinken und damit auch kräftig zur Dekarbonisierung der industriellen Wertschöpfungsketten beitragen. Darüber hinaus schaffen die neuen wasserstofffähigen Anlagen einen Nachfrageanker für die Entwicklung einer Wasserstoffwirtschaft. Dadurch schließt sich ein Kreis und die Stahlindustrie hat damit einen entscheidenden Anteil daran, Deutschland als führenden Standort für grüne Technologien im internationalen Wettbewerb zu stärken.

 

Kritiker:innen der Klimaschutzverträge befürchten einen zu großen Markteingriff. Wie kann dem – zum Beispiel durch den Ausbau grüner Produktmärkte – entgegengewirkt werden? 

Um es ganz klar zu sagen: Die Stahlindustrie will eine marktwirtschaftliche Lösung und keine Dauersubventionen. Klimaschutzverträge sind jedoch als Initialzündung für die Hochlaufphase nötig, um überhaupt ein erstes Angebot an grünem Stahl bereitstellen zu können. Auf lange Sicht müssen grüne Märkte mit einer Nachfrage nach dem teureren grünen Stahl geschaffen werden.  Es liegt auf der Hand: Je schneller die Zahlungsbereitschaft für grünen Stahl angereizt werden kann, desto eher lässt sich die öffentliche Förderung zurückfahren.

Weil die Entwicklung solcher grünen Leitmärkte und der dazu passende regulatorische Rahmen eine gewisse Zeit brauchen werden, ist es umso wichtiger, sie jetzt auf den Weg zu bringen.

 

Der DVGW hat zur Unterstützung der Wasserstofftransformation die „Plattform Grüne Industrie“ als Dialogplattform zwischen Industrie und Gaswirtschaft gegründet. Wie bewerten Sie diese Initiative? 

Unternehmen, die auf wasserstoffbasierte Produktionsverfahren setzen, brauchen entweder einen eigenen Elektrolyseur am Standort oder eine direkte Anbindung an eine Wasserstoffleitung. Die Entwicklung einer Transportinfrastruktur für Wasserstoff ist daher eine wesentliche Voraussetzung für die Transformation der Industrie – und die Umnutzung von bestehenden Gasleitungen hat dabei eine wichtige Bedeutung. Der Austausch zwischen Industrie und Gaswirtschaft zu diesem Thema macht daher großen Sinn.

 

Vielen Dank für das interessante Interview, Frau Rippel. Wir freuen uns schon auf Ihren Beitrag auf der gat | wat 2023.