Der DVGW

Das Kompetenznetzwerk im Gas- und Wasserfach

Der DVGW fördert das Gas- und Wasserfach in allen technisch-wissenschaftlichen Belangen. In seiner Arbeit konzentriert sich der Verein insbesondere auf die Themen Sicherheit, Hygiene, Umwelt- und Verbraucherschutz. Mit der Entwicklung seiner technischen Regeln ermöglicht der DVGW die technische Selbstverwaltung der Gas- und Wasserwirtschaft in Deutschland. Hierdurch gewährleistet er eine sichere Gas- und Wasserversorgung nach international höchsten Standards. Der im Jahr 1859 gegründete Verein hat rund 14.000 Mitglieder. Hierbei agiert der DVGW wirtschaftlich unabhängig und politisch neutral

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Welche Potenziale und Herausforderungen ergeben sich bei der Skalierung heimischer Wasserstoff Erzeugung?

Interview mit Dr. Geert Tjarks

Für einen beschleunigten Wasserstoffhochlauf in Deutschland sind die heimische Produktion und die Bereitstellung von großen Mengen Wasserstoff essenziell. In Anlehnung an den Vortrag „Heimische H2-Erzeugung im Kraftwerksmaßstab“ auf der diesjährigen gat haben wir den Referenten Dr. Geert Tjarks (Leiter Geschäftsfeldentwicklung Wasserstoff, EWE Gasspeicher GmbH) befragt. In dem Interview sprechen wir über die Potenziale und Herausforderungen bei der Skalierung heimischer Wasserstoff Erzeugung und erhalten einen Ausblick über die Zukunft der Wasserstoff-Industrie in Deutschland.

Um Emissionen zu reduzieren und den Wirtschaftsstandort Deutschland zu sichern, spielt der Wasserstoffhochlauf eine entscheidende Rolle. Welche Potenziale bietet dabei die heimische Erzeugung auch im Hinblick auf Importe aus dem Ausland?

Der Hochlauf einer nationalen Wasserstoffwirtschaft muss durch das Zusammenwirken von heimischer Produktion und dem Import von Wasserstoff erfolgen. Wie bereits durch die Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung benannt, nimmt die heimische Wasserstoffproduktion dabei eine wesentliche Rolle ein. Aus Sicht des Energiesystems begründet sich diese Rolle vornehmlich durch die systemische Einbindung von Elektrolysesystemen in die bestehenden Strom- und Gasinfrastrukturen. Heimische Elektrolysekapazitäten sollten sich dabei an den heutigen und den zukünftigen Strukturierungsbedarfen des Stromsystems orientieren. Damit kann volatile und fluktuierende Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen auf die Bedarfsprofile angepasst und gleichzeitig eine Absicherung des Strompreises für die EE-Erzeuger erreicht werden. Durch den Aufbau der heimischen Wasserstofferzeugung werden zeitgleich Infrastrukturen für den Transport und die Speicherung von Wasserstoff entwickelt. Der Infrastrukturaufbau ist für die spätere Einbindung eines Importmarktes notwendige Voraussetzung. Dieser Infrastrukturaufbau befindet sich durch die Entwicklung heimischer Produktionskapazitäten, beispielsweise im Rahmen von IPCEI, in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstand.

Neben den energiesystemischen Aspekten hat die heimische Produktion zudem einen industriepolitischen Aspekt. Wichtige Hersteller von Elektrolyseanlagen sind in Deutschland beheimatet. Für einen Technologieexportmarkt ist der Erfahrungsgewinn mit heimischer Elektrolyse ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil.

 

Welche technologischen, politischen und regulatorischen Voraussetzungen müssen aus Ihrer Sicht für eine nachhaltige H2-Erzeugung im Kraftwerksmaßstab erfüllt werden – und in welchen Bereichen ist man bereits auf einem guten Weg?

Die technologische Entwicklung von Elektrolyseanlagen im Kraftwerksmaßstab ist heute bereits weit fortgeschritten. So werden bereits heute Anlagengrößen von 300 MW und größer projektiert oder befinden sich bereits in der Umsetzungsphase. Dennoch fehlen die Erfahrungen des Praxisbetriebs von Großanlagen über 20 MW. Dies gilt insbesondere für die Lebensdauer unter dynamischen und intermittierenden Lasten. Auch die Weiterentwicklung optimaler Anlagenauslegung muss neben dem initialen Markteintritt erfolgen. Um die industriepolitischen Chancen zu nutzen, die sich aus dem Heimat- und dem globalen Markt ergeben, müssen die Herstellerkapazitäten von nationalen Elektrolyseunternehmen drastisch und kurzfristig erhöht werden. Hier sind bereits erste wichtige Maßnahmen angestoßen worden, welche nun zeitnah und stringent umgesetzt werden müssen.

Aus regulatorischer Sicht muss die systemische Einbindung von Elektrolyseanlagen im Vordergrund stehen. Dies bezieht sich auf die zwei wesentlichen Aspekte der Standortwahl und des Betriebsprofils der Anlage. Systemische Standorte, also Standorte mit hohen Einspeisekapazitäten aus EE-Anlagen, werden heute nicht ausreichend angereizt. Hier stellen beispielsweise der Baukostenzuschuss oder erhöhte Projektkosten für Greenfield-Ansätze eine Herausforderung dar. Ähnliches gilt für die Befreiung der Stromnetzentgelte, welche bei der aktuellen Ausgestaltung des EnWG im August 2026 endet und damit die initiale Phase von Großanlagen nicht berücksichtigt. Für den Betrieb der Elektrolyseanlagen ist mit dem Delegierten Rechtsakt der REDII nun eine Vorgabe gemacht worden. Auch wenn es zu begrüßen ist, dass mit dieser Vorgabe nun Planungssicherheit besteht, reflektiert der DA die Potenziale und technischen Gegebenheiten der Technologie nicht vollumfänglich. So werden bei der Vorgabe der zeitlichen Korrelation beispielsweise keine technischen Aspekte, wie lastabhängige Wirkungsgrade oder Degradationseffekte berücksichtigt.

 

Welche Herausforderungen bestehen bei der Skalierung der Wasserstoff Erzeugung auf Kraftwerksniveau und wie können diese bewältigt werden?

Neben den oben genannten Herausforderungen in Bezug auf fehlende technische Erfahrung und entsprechende Honorierung im Gesetzesrahmen stellt der Strombezug eine wesentliche Herausforderung dar. Dies wird durch strenge Vorgaben, beispielsweise aus der REDII, weiter erschwert. Die Gründe sollten aber nicht im zusätzlichen Strombedarf der Elektrolyse gesucht werden, sondern im verzögerten Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Verantwortung zum weiteren Ausbau sollte durch den Gesetzesrahmen damit nicht in die Verantwortung einzelner Akteure gelegt, sondern auf übergeordneter Ebene geregelt werden. Die Kombination aus fehlender technischer Erfahrung und erschwertem Strombezug führt zu hohen Investitionsrisiken von ersten Marktakteuren. Eine Reduzierung der Risiken durch entsprechende Förderoptionen ist daher notwendig. Allerdings zeigt sich auch hier, beispielweise am IPCEI Rahmen, dass die Genehmigungsprozess langwierig und aufwendig sind. In der aktuellen Marktsituation mit steigendem globalen Wettbewerb und steigenden Beschaffungskosten werden die Investitionsrisiken durch die verzögerten Förderprozesse eher erhöht. Hier ist auch mit Blick auf die Skalierungsphase eine Verschlankung der Prozesse notwendig.

 

Welche Bedeutung hat die Zusammenarbeit zwischen Politik, Wissenschaft und Industrie bei der heimischen Erzeugung? Und wie kann diese ggf. verbessert werden?

Der Wasserstoffmarkt in Deutschland hat sich durch eine Vielzahl von Ankündigungen und Maßnahmen in den letzten Jahren stark entwickelt, ist aber weiterhin in einer vor- bzw. frühmarktlichen Phase. Die Zusammenarbeit zwischen Politik, Wissenschaft und Industrie hat damit weiterhin eine hohe Bedeutung, um neben der Markteintrittsphase auch die Skalierung des Marktes darstellen zu können. Hier stehen gemeinsame Standards und Interoperabilität im Vordergrund. Die Markthochlaufphase braucht zudem eine fortlaufende Begleitung durch die Akteurskreise, um auf neue Entwicklungen im nationalen und internationalen Kontext reagieren zu können.

 

Bitte geben Sie uns abschließend einen Ausblick, wie sich die Wasserstoff Erzeugung in den nächsten Jahren in Deutschland entwickeln wird. Werden wir langfristig auf Importe angewiesen sein?

Zunächst sollte die Erreichung der Bundesregierungsziele von 10 GW bis 2030 im Vordergrund stehen. Diese Kapazität ist aufgrund der Lieferzeiten und allgemeinen Planungs- und Genehmigungsprozesse bereits herausfordernd. Damit einhergehend muss sich das Bild zur systemischen Einbindung und Betrieb der Anlagen schärfen und auf den Gesetzesrahmen übertragen werden. Daraus lassen sich die weiteren Ausbaupfade für die heimische Erzeugung ableiten, welche zu den entsprechenden Zeiten angestoßen werden müssen. In jedem Fall wird Deutschland langfristig auf Importe angewiesen sein. Die Infrastrukturplanung und -entwicklung muss dieses bereits zwingend berücksichtigen. Die Koexistenz von heimischen Wasserstoff und Importwasserstoff muss sich über den Gesetzesrahmen durch vergleichbare Standards wiederfinden. Um auch die systemischen Potenziale der Elektrolyseanlagen langfristig nutzen zu können, muss es einen entsprechenden Bestandsschutz und Anreizwirkungen geben.

 

Vielen Dank für das interessante Interview, Herr Dr. Tjarks. Wir freuen uns schon auf Ihren Beitrag auf der gat | wat 2023.